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Technologie ist ansteckend

Die aktuelle Coronavirus-Epidemie macht deutlich, wie empfindlich unsere hoch vernetzte Welt auf neue Krankheitskeime reagiert und wie schnell wir bei deren Bekämpfung an unsere Grenzen stoßen. Die chinesische Produktionsmaschine stottert, Messen werden abgesagt, die Börsen brechen ein, ein immenser wirtschaftlicher Schaden entsteht. Dabei stehen wir womöglich erst am Anfang einer globalen Pandemie. Zudem ist das neue SARS-CoV-2-Virus noch relativ harmlos, jedenfalls im Vergleich zu manchen Seuchen, die die Welt bereits heimgesucht haben. Beispielsweise die Pocken, denen im 16. Jahrhundert ein Großteil der indigenen Bevölkerung Süd- und Mittelamerikas zum Opfer fiel.

 

Umso erschreckender ist ein jüngst im Bulletin of the Atomic Scientists erschienener Bericht über eine amerikanische Biotech-Firma, die gerade bereits zum zweiten Mal einen den Pocken eng verwandten Virus synthetisiert hat. Zwar handelt es sich dabei nicht um die tödliche Krankheit selbst, doch wie der Biotechnologie-Professor Gregory D. Koblentz in dem Artikel klarstellt, ist es mit derselben Technik „für ca. 100.000 Dollar“ möglich, auch das verheerende Pockenvirus wiederauferstehen zu lassen, das seit den Achtzigerjahren als ausgerottet gilt und offiziell nur noch in zwei Hochsicherheitslabors in den USA und Russland gelagert wird. Koblentz weist darauf hin, dass es keinen medizinischen Grund für die Synthese des pockenähnlichen Virus gebe und die Firma somit ein unnötiges Risiko heraufbeschworen habe, indem sie derartige Experimente als „akzeptabel“ darstelle. Zudem sei die öffentliche Kontrolle der dafür benötigten Technologie und der Firmen, die sie verwenden, völlig unzureichend, um möglichen Missbrauch oder eine Katastrophe aus Unachtsamkeit wirksam zu verhindern.

 

Man mag sich gar nicht vorstellen, was geschehen könnte, wenn solche Technologie Terroristen in die Hände fällt – wenn zum Beispiel eine Seuche wie die Pocken nicht an einem Punkt irgendwo in China, sondern zeitgleich an den zehn größten Flughäfen der Welt freigesetzt wird, so dass eine Eindämmung unmöglich ist. Angesichts der schrecklichen Vorfälle der letzten Tage in Hanau und Volkmarsen, die wieder einmal die Abgründe der menschlichen Psyche offenbaren, ist es jedenfalls wahrscheinlich, dass das irgendwann jemand versuchen wird.

 

Was das mit KI-Risiken zu tun hat? Eine ganze Menge. Einerseits weist Christian Stöcker in einem aktuellen Spiegel-Kommentar zu recht auf die großen Chancen hin, die selbstlernende Systeme für die Entwicklung von Impfstoffen und Antibiotika bieten. Andererseits ist das jedoch ein zweischneidiges Schwert, denn dieselbe Technik kann auch verwendet werden, um neuartige Viren oder Biowaffen zu entwickeln. Ähnlich wie KI erzeugt Biosynthese ein Macht-Ungleichgewicht: Wer im Besitz des nötigen Wissens und der Technologie ist, kann diese zum Schaden von unter Umständen Millionen Menschen missbrauchen. Zudem beschleunigt KI die Entwicklung von Biosynthese-Verfahren und trägt dazu bei, dass es immer einfacher wird, neue Organismen zu erzeugen oder bestehende zu verändern – mit unabsehbaren Folgen.

 

Wir werden nicht verhindern können, dass sich die technische Entwicklung weiter beschleunigt und die Schwellen für den Einsatz gefährlicher Technologien, nicht nur im Bereich der Biowaffen, immer niedriger werden. Umso wichtiger ist es, dass wir uns intensiver als bisher mit diesen Risiken beschäftigen und Vorsorge treffen.

 

Wer weiß, vielleicht erweist sich CoV-2 eines Tages als Segen für die Menschheit, als eine Art Impfstoff, der unser globales Abwehrsystem getestet, seine Schwächen aufgedeckt und uns gezwungen hat, sie zu verbessern, so dass wir auf eine Attacke mit einem wirklich tödlichen Erreger besser vorbereitet sind. Das hilft natürlich den bisherigen Opfern dieser Krankheit nicht, deren Schicksal ich damit keinesfalls verharmlosen möchte.

 


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