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Was wir aus der Coronakrise lernen müssen

Hin und wieder wird das Auftauchen des neuen Coronavirus als „Schwarzer Schwan“ bezeichnet, als ein unwahrscheinliches, unvorhersehbares Ereignis, das die Normalität, z.B. an der Börse, gehörig durcheinanderwirbelt. Doch das ist falsch. Die Covid-19-Pandemie war weder unwahrscheinlich noch unvorhersehbar. Natürlich konnte niemand genau voraussagen, wann und wo sie ausbrechen würde. Aber dass eine solche Pandemie irgendwann kommen würde, war nicht nur Hollywood, sondern auch den Virologen und Gesundheitsexperten seit Langem klar.

Pandemien sind schließlich nichts Neues – von der Pest bis zu den Pocken ist die Menschheit seit Jahrtausenden immer wieder von ihnen heimgesucht worden. Doch im Unterschied zu früher verstehen wir heute sehr genau, wie eine Pandemie entsteht, wie sie sich ausbreitet und wie man sich davor schützen bzw. sie bekämpfen kann. Schon 2012 lag der Bundesregierung eine Risikoanalyse auf Basis einer „Pandemie durch Virus Modi-SARS“ vor.

Trotzdem sind wir, so scheint es, kalt erwischt worden. Die Kapazitäten der Krankenhäuser in vielen Ländern reichten bzw. reichen nicht aus, um alle Infizierten zu behandeln. Es mangelt an Schutzmasken und Schutzkleidung, Medikamente werden knapp, internationale Lieferketten brechen zusammen. Es brechen Verteilungskämpfe um knappe Güter wie Schutzmasken aus.

Es ist noch zu früh, um zu erkennen, wie schlimm die Auswirkungen von Covid-19 am Ende wirklich sein werden. Vieles hängt davon ab, wann wir ein wirksames Medikament finden, wann wir einen Impfstoff zur Verfügung haben und ob bzw. wie es uns gelingt, weiter die Disziplin aufrechtzuerhalten, um die Ausbreitung des Virus einzudämmen und unser Gesundheitssystem nicht zu überlasten. Dabei haben wir hier in Deutschland noch Glück im Unglück – welche Verheerungen das Virus in den Slums Afrikas und Lateinamerikas anrichtet, mag ich mir gar nicht vorstellen.

Doch egal, wie der weitere Verlauf aussehen wird, eine Lehre können wir jetzt schon ziehen: Wir dürfen unsere politischen, wirtschaftlichen und persönlichen Entscheidungen nicht weiterhin nur an der vermeintlichen „Normalität“ ausrichten. Wir müssen stärker in Betracht ziehen, dass es radikale Veränderungen geben wird, und uns schon jetzt darauf einstellen. Das hat nichts mit Weltuntergangsszenarien oder Panikmache zu tun, sondern mit einer realistischen und vernünftigen Zukunftsvorsorge.

Einige solcher Veränderungen können wir bereits jetzt deutlich erkennen. Dazu gehören der Klimawandel, das Wiedererstarken des Populismus und nationaler Egoismen, aber auch die Auswirkungen einer rapiden technischen Entwicklung, die unter anderem zu einem wachsenden Ungleichgewicht bei Einkommen und Macht führt.

Man kann hoffen, dass die Coronakrise ein Weckruf für uns alle ist und dazu führt, dass wir uns nicht nur auf die nächste Pandemie (die garantiert kommen wird), sondern auch auf andere bereits erkennbare Risiken besser vorbereiten. Doch ich befürchte das Gegenteil: Die enormen Kosten für die Bewältigung der aktuellen Krise werden womöglich dazu führen, dass nicht mehr, sondern weniger gegen den Klimawandel unternommen wird. Statt zu mehr internationaler Solidarität könnten die wirtschaftlichen Probleme zu zunehmenden Verteilungskämpfen und Streitereien führen. Schon jetzt ist erkennbar, dass US-Präsident Trump und andere für ihr eigenes Versagen einen Sündenbock suchen und mit dem Finger nach China zeigen. Doch bei aller berechtigten Kritik an Fehlern der chinesischen Regierung ist die Covid-19-Pandemie ein globales Problem, das nicht durch Schuldzuweisungen, sondern nur durch internationale Zusammenarbeit gelöst werden kann.

Auch die Risiken einer rapiden technischen Entwicklung werden vermutlich in nächster Zeit eher weniger als mehr Beachtung finden. Einerseits hilft Technologie dabei, die aktuelle Pandemie besser in den Griff zu bekommen, andererseits scheint es momentan wirklich Dringenderes zu geben. Auch ich selbst habe in den letzten Wochen wie gelähmt auf die Entwicklung der Pandemie gestarrt, statt mich mit diesem Thema zu beschäftigen, wie man an der Zeit seit dem letzten Blogbeitrag sehen kann.

Doch wenn wir in die nächste absehbare Katastrophe genauso blind hineinstolpern wie in die Covid-19-Pandemie, könnte der Preis, den wir dafür zahlen müssen, noch weit höher ausfallen.


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Kommentare: 2
  • #1

    Heinrich (Mittwoch, 29 April 2020 19:31)

    Lieber Karl,
    ich möchte nichts ergänzen, nicht widersprechen. Nur zustimmen, aber ICH hätte in der Überschrift das "müssen" durch "müssten" ersetzt. ;)
    Die Hoffung stirbt zuletzt, sagt man. Aber keiner sagt, wie lange sie schon schwerkrank ist.

    Die Taiwaner könnten es beim nächsten Mal schaffen. Sie waren bei dieser Pandemie schon sehr erfolgreich, habe ich heute auf PerspectiveDaily gelesen.

    Gruß Heinrich

  • #2

    Karl Olsberg (Donnerstag, 30 April 2020 12:21)

    @Heinrich: Leider wahr. Aber wer weiß, vielleicht hatte die Hoffnung ja schon Corona und ist jetzt immun. ;)