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Narzisstische Algorithmen

Am Dienstag wird in den USA gewählt. Genau genommen endet dann die Wahl, die bereits seit Wochen läuft – über 70 Millionen Menschen haben ihre Stimme bereits abgegeben, so viele wie nie zuvor zu einem so frühen Zeitpunkt. Ich hoffe, dass das ein gutes Zeichen ist und das unrühmliche Kapitel der US-Geschichte „Donald Trump“ durch einen deutlichen Sieg der Demokraten rasch und unblutig beendet wird.

Doch damit fängt die Aufarbeitung der Ära Trump erst an. Joe Biden und seinem Team steht die schwierige Aufgabe bevor, ein zutiefst gespaltenes Land wieder zu einen, und das in einer durch die Corona-Pandemie sehr schwierigen Lage. Dabei wird eine Frage sicher im Zentrum stehen: Wie konnte es so weit kommen? Wieso stehen auch jetzt, angesichts seines kolossalen Versagens nicht nur in Bezug auf die Bewältigung der Pandemie, immer noch so viele Menschen hinter diesem notorischen Lügner und Aufschneider, dass Bidens Wahlsieg keineswegs sicher ist und ich in der Nacht zu Mittwoch vermutlich sehr unruhig schlafen werde?

So viel scheint klar: Donald Trump ist nicht die Ursache des Problems, er ist ein Symptom. Er ist kein gerissener Politiker, der sich durch geschickte Manipulationen die Macht erschlichen hat, das zeigte sich gerade in den letzten Monaten immer wieder. Die Geschichte lehrt uns: In einer Krise versammeln sich die Menschen hinter einer starken Regierung, selbst wenn diese ansonsten nicht ihre Interessen vertritt. Doch statt entschlossen gegen die Pandemie vorzugehen, was ihm eine zweite Amtszeit mühelos gesichert hätte, hat Trump sie heruntergespielt und damit alle verprellt, die direkt oder indirekt betroffen waren. Mit seinen aggressiven Auftritten und tollpatschigen Angriffen gegen Joe Biden und seinen Sohn hat er sich immer wieder selbst geschadet. Das spricht sehr klar dafür, dass er nur Präsident werden konnte, weil ihn eine globale Woge des Populismus quasi an die Spitze der mächtigsten Nation der Welt gespült hat.

Dafür gibt es sicher viele Gründe, die teilweise auch in dem maroden politischen System der USA mit seiner mehr als zweihundert Jahre alten Verfassung liegen. Ein wesentlicher Grund für die „Katastrophe Trump“ dürfte aber die Tatsache sein, dass wir in einem Zeitalter des Narzissmus leben.

Donald Trump erfüllt alle Kriterien einer schweren „narzisstischen Persönlichkeitsstörung“ – um das zu erkennen braucht man keine psychiatrische Ausbildung, sondern muss nur den einschlägigen Wikipedia-Artikel lesen und die Checkliste dort mit Trumps Twitter-Account abgleichen. Ich habe persönliche Erfahrungen mit krankhaftem Narzissmus und weiß aus erster Hand, dass die Gefährlichkeit dieser weit verbreiteten Krankheit in der Öffentlichkeit unterschätzt wird. Krankhafte Narzissten sind geborene Manipulatoren. Sie sind sehr geschickt darin, andere Menschen für sich einzunehmen, und wirken oft freundlich, zuvorkommend und großzügig. Doch in Wahrheit ist ihnen das Schicksal anderer Menschen vollkommen gleichgültig. Sie interessieren sich nur dafür, wie sie selbst wahrgenommen werden. Um gut dazustehen, ist ihnen jedes Mittel recht, sie gehen dafür notfalls buchstäblich über Leichen (im Fall von Donald Trump mehr als 220.000 Corona-Todesfälle, von denen die weitaus meisten durch entschlossene Maßnahmen vermeidbar gewesen wären).

Wenn ein krankhafter Narzisst in einer Machtposition ist, richtet er fast immer schlimmen Schaden an. Menschen, die keine persönlichen Erfahrungen mit krankhaftem Narzissmus haben, können sich oft nicht vorstellen, was „hinter den Kulissen“ vor sich geht. Da krankhafte Narzissten zu selbstloser Liebe unfähig sind, missbrauchen sie sogar ihre eigenen Kinder, um ihr Ansehen aufzupolieren, und zerstören so oft deren Leben. Eine eindrückliche und beklemmende Schilderung eines solchen Falles liefert das Buch „Das Gift der Narzisse“ von Gabriele Nicoleta.

Was hat all das mit künstlicher Intelligenz zu tun? Leider sehr viel. Krankhafte Narzissten verzehren sich nach der Bewunderung durch andere – nichts ist ihnen wichtiger. Sie wollen Aufmerksamkeit um jeden Preis. Deshalb sind soziale Medien wie Twitter, Youtube, Facebook und Instagram ihre Spielwiese. Das bedeutet natürlich nicht, dass jeder, der dort etwas postet, ein Narzisst ist. Aber die Belohnungsmechanismen der sozialen Medien, besonders der berühmt-berüchtigte „Like“-Button, sind wie dafür gemacht, eine krankhafte Sucht nach oberflächlicher Bewunderung zu fördern.

Schlimmer noch: Die Algorithmen, die die „Feeds“ in sozialen Medien steuern und somit bestimmen, was wir alle dort zu sehen bekommen, sind in gewisser Weise selbst narzisstisch. Denn ihre Zielfunktion lautet schlicht: „maximiere die Aufmerksamkeit, die du von den Usern bekommst“. Diese Aufmerksamkeit an Werbungtreibende zu verkaufen, ist das Geschäftsmodell von Facebook, Instagram, Twitter & Co. Soziale Medien leben also vom Narzissmus derjenigen, die dort Content posten, und sorgen dafür, dass die größten Narzissten die meiste Aufmerksamkeit bekommen. Sie nutzen Narzissmus nicht nur aus, sie fördern ihn aktiv.

Die Auswirkungen sind verheerend. Genau wie menschliche Narzissten nehmen es auch die narzisstischen Algorithmen mit der Wahrheit nicht so genau. Wenn eine Verschwörungstheorie ihnen Aufmerksamkeit bringt, wird sie weiterverbreitet. Wenn Intoleranz, Hass und Spaltung ihren Zielen nützen, tauchen entsprechende Inhalte immer häufiger in unseren Feeds auf. Die Folgen sieht man in der Zerrissenheit nicht nur der US-amerikanischen Gesellschaft, dem Wiedererstarken des politischen Extremismus, der gefährlichen Unvernunft vieler Menschen oder auch in den erschütternden Szenen, die man bisweilen im Trash-TV beobachten kann, wo krankhafte Narzissten oft in eine Art Glaskäfig gesperrt und aufeinander gehetzt werden – zur Belustigung des Publikums.

Die Versuche der Anbieter sozialer Medien, der Verbreitung von Lügen, Verschwörungstheorien und Unwahrheiten Einhalt zu gebieten, sind mehr als halbherzig. Sie berufen sich dabei auf die Meinungsfreiheit, doch in Wahrheit geht es ihnen vor allem darum, ihr Geschäftsmodell nicht zu gefährden. Wer vom Narzissmus lebt, hat wenig Interesse daran, die Ausbreitung des Narzissmus zu stoppen. Den Preis dafür zahlen wir alle.


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Kommentare: 7
  • #1

    Barbara (Freitag, 30 Oktober 2020 09:35)

    Auf den Punkt gebracht!

  • #2

    Karl Olsberg (Freitag, 30 Oktober 2020 09:49)

    @Barbara: Danke!

  • #3

    Heinrich (Samstag, 31 Oktober 2020 13:19)

    Ein grandioser Artikel! Der müsste in der New York Times stehen und anderen US Medien. Vielleicht würde dann wenigsten der ein oder andere Trump Fan nachdenklich werden. Vielleicht?!

    Bei der Frage, was hat das alles mit KI zu tun, schweiften meine Gedanken noch ab, zu dem Buch, das ich gerade lese: Eines Menschen Flügel - von Andreas Eschbach
    Da haben in ferner Zukunft die Menschen den Versuch unternommen "ohne Maschinen" ihre Nachfahren "besser" leben zu lassen, weil die Maschinen nur Unheil verursachen. Mal schauen, wie es ausgeht? ;)
    Und gestern habe ich in der ARD Mediathek den Film EXIT gesehen. Auch ein schönes Beispiel, was KI anrichten kann, wenn sie missbraucht wird - wieder von Menschen natürlich.

  • #4

    Heinrich (Samstag, 31 Oktober 2020 13:31)

    @Karl ich möchte noch ergänzen, dass dieser Artikel mich veranlasst hat, mein Verhalten im Netz zu überprüfen, an welchen Stellen sich da bei mir Narzissmus als Motiv einschleichen könnte. ;)
    Aber noch denke ich, dass mein Wunsch nach Anerkennung keine krankhafte Sucht nach oberflächlicher Bewunderung ist! ;)

  • #5

    Karl Olsberg (Samstag, 31 Oktober 2020 14:56)

    @Heinrich: Dankeschön! Tatsächlich hat die Washington Post bereits über das Problem berichtet, siehe Link im Text ("immer häufiger in unseren Feeds auf"). Aber ich freue mich natürlich über Anfragen! ;)

    Was die theoretische Möglichkeit angeht, Du könntest krankhaft narzisstisch sein: Keine Angst, ein krankhafter Narzisst würde sich das NIEMALS fragen. Deshalb gilt die Krankheit als nicht therapierbar, denn Psychotherapie funktioniert nur, wenn der Patient einsieht, dass er krank ist. Da können wir bei Trump lange drauf warten.

    Der ganz normale und gesunde Wunsch nach Anerkennung hat übrigens nichts mit Narzissmus zu tun. Narzissmus beginnt da, wo man sich selbst wichtiger nimmt als die anderen Menschen, sich für "besonders" hält. Krankhafter Narzissmus bedeutet in der Regel, dass einem das Schicksal und die Bedürfnisse anderer Menschen vollkommen egal sind und sich alles nur noch um die eigene Person dreht. Krankhafte Narzissten können andere Menschen nicht wirklich lieben und sind daher der wichtigsten Quelle für Glück und Wohlbefinden beraubt. Sie können einem leid tun.

  • #6

    Supermann (Freitag, 11 Dezember 2020 08:24)

    Der Autor hat leider keine Ahnung von Narzissmus und auch keine von künstlicher Intelligenz. Er sollte sich über diese Themen erstmal belesen bevor er mit seinem Unwissen an die Öffentlichkeit tritt.

  • #7

    Karl Olsberg (Freitag, 11 Dezember 2020 09:00)

    @Supermann: Ich würde mich über konkrete Kritik an einzelnen meiner Aussagen freuen und beantworte auch gern Fragen. Pauschal abfällige Urteile sind in der Regel nicht hilfreich.