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Warum wir mehr Pessimismus brauchen

Dieser Blogbeitrag von Heinrich hat mich darauf gebracht, mich mit der Frage zu beschäftigen, was eigentlich besser ist: Optimismus oder Pessimismus?

 

Ich selbst bin von Natur aus Optimist. Ich sehe eher die Chancen als die Risiken und wenn etwas schiefgeht, sehe ich es eher als Ansporn, es beim nächsten Mal besser zu machen. Deshalb habe ich Anfang des Jahres einen Blogbeitrag geschrieben, in dem ich dazu ermutige, die „richtigen“ Fehler zu machen. Mein Optimismus ist es, der mir die Kraft verleiht, auch nach dem xten Rückschlag noch mal neu anzufangen. Und manchmal war dieser Optimismus durchaus berechtigt – unter lauter Flops gab es in meiner Karriere als Schriftsteller und Unternehmer zum Glück auch ein paar echte Hits.

Pessimismus ist dagegen nicht gerade populär. Pessimisten gelten als Miesmacher. Eine pessimistische Sichtweise verdirbt den Spaß am Leben und raubt einem die nötige Energie, um sich in unvertrautes Gelände zu wagen. Und es stimmt ja auch: Pessimismus fühlt sich richtig blöd an. Deshalb findet man in der Werbung und auf Wahlplakaten auch keine sauertöpfisch dreinblickenden Menschen, die sich der Realität des Lebens stellen, sondern ausnahmslos lächelnde, gut gelaunte Optimisten, die anscheinend auf einem anderen Planeten leben, auf dem alles schön bunt und fröhlich ist.

Mit welcher Einstellung trifft man nun die besseren Entscheidungen? Die Antwort lautet wie so oft: Kommt darauf an. Wenn das Potenzial eines Erfolgs deutlich größer ist als der Schaden beim Scheitern, ist Optimismus angebracht. Das ist zum Beispiel bei einem Buch so: Der Schaden, es zu schreiben, begrenzt sich auf die Zeit, die ich hineininvestiere. Wird das Buch aber ein Erfolg, erhalte ich nicht nur einen fürstlichen Stundenlohn, sondern bereite auch den Boden für weitere Bucherfolge und bereite vielen Menschen Freude beim Lesen. Da lohnt es sich, fünfmal auf die Nase zu fallen, wenn es beim sechsten Mal klappt! Vielen Investitionen von Unternehmen und Geldgebern liegt eine ähnliche Kalkulation zu Grunde: Der Verlust ist klar definiert – wenn es schief geht, ist das investierte Geld weg, mehr aber auch nicht. Wenn es dagegen klappt, kann manchmal ein Mehrfaches der investierten Summe hereingeholt werden. Wenn also eine realistische Chance dafür besteht, dann ist eine optimistische Herangehensweise angebracht, andernfalls droht mittelfristig der Tod durch „Angststarre“.

Aber nehmen wir mal an, jemand bietet Ihnen an, Russisch Roulette zu spielen, und verspricht Ihnen eine Million Euro als Belohnung. Würden Sie die Wette annehmen? Der Optimist würde sagen: „Klar, eine Million, Gewinnchance über 80%, da bin ich dabei. Wird schon nichts passieren.“ Aber in diesem Fall sagt uns die Intuition, dass es klüger ist, sich wie ein Pessimist zu verhalten: Auch, wenn die Chance, zu sterben, nur ein Sechstel ist und ein stattlicher Gewinn winkt, ist es das Risiko, sein Leben zu verlieren, nicht wert.

Wie verheerend unangebrachter Optimismus in der Realität ist, sieht man gerade an den erschütternden Bildern aus Kabul. Alle Geheimdienste und Militärstrategen sind offensichtlich vom Kollaps der Afghanischen Armee überrascht worden. Im Nachhinein ist man immer schlauer und vor ein paar Wochen mag ein solches Szenario noch sehr unwahrscheinlich ausgesehen haben. Aber war es unmöglich? Offensichtlich nicht. Haben die Experten ein solches Szenario für denkbar gehalten? Ja, es wurde darüber diskutiert. Doch die Optimisten haben sich offenbar durchgesetzt und die verhängnisvolle Entscheidung getroffen, Kabul nicht mehr ausreichend zu sichern, um sich auf den eigenen Truppenabzug zu konzentrieren. Ein Pessimist hätte womöglich vorsichtiger agiert.

Ähnlich verhielt es sich zu Beginn der Corona-Pandemie Anfang letzten Jahres: Die Pessimisten (oder auch „Realisten“, wie sie sich selbst nennen) haben frühzeitig vor einem raschen Anstieg der Infektionszahlen gewarnt, doch viele optimistisch eingestellte Politiker haben unpopuläre Eindämmungsmaßnahmen blockiert, bis es zu spät war. Generell war man auf einen solchen Fall extrem schlecht vorbereitet, obwohl Experten schon vor Jahren davor gewarnt haben. Ein gesunder Pessimismus hätte uns vielleicht dazu gebracht, uns früher und besser auf diese Situation vorzubereiten.

In Bezug auf die Entwicklung künstlicher Intelligenz habe ich mich in den letzten Jahren vom Optimisten zum Pessimisten gewandelt – in dem Sinn, dass ich die Risiken der KI, über die ich hier schreibe, inzwischen für weit größer halte als die Chancen. Der Philosoph Toby Ord, dessen exzellentes Buch „The Precipice“ ich gerade lese, sieht das ähnlich – er hält eine außer Kontrolle geratene künstliche Intelligenz für die größte heute erkennbare Bedrohung der Menschheit, und zwar nicht nur in dem Sinn, dass viele Menschen sterben könnten, sondern dass die Menschheit vollständig ausradiert wird und damit auch unzählige noch ungeborene Generationen unserer Nachkommen. Er hält die Wahrscheinlichkeit dafür, dass wir dieses Jahrhundert als Menschheit überleben, für 5/6 –genau die Überlebenschancen beim Russisch Roulette.

Natürlich gibt es auch Optimisten wie zum Beispiel den KI-Forscher Jürgen Schmidhuber oder Facebook-Gründer Marc Zuckerberg, die eine solche Betrachtungsweise für „Hysterie“ halten, und andere, die gar nicht glauben, dass eine solche „starke“ KI in absehbarer Zeit überhaupt möglich ist.

Angesichts des Verhältnisses zwischen möglichem Gewinn (die Reichen werden noch reicher, wer die KIs kontrolliert, kontrolliert die Welt) und Verlust (Auslöschung der Menschheit) scheint mir eine pessimistische Grundhaltung durchaus angebracht.


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Kommentare: 1
  • #1

    Heinrich (Sonntag, 22 August 2021 16:50)

    Lieber Karl,
    dass ich in meinem hohen Alter einen Schriftsteller angeregt habe, diesen Artikel zu schreiben, erfreut mich sehr. Also bin ich doch noch zu etwas nütze. ;)
    So umfassend und tiefgreifend hätte ich das Thema nie ausführen können, und was die KIs angeht, stimme ich inzwischen zu. Nicht erst nach der 2. Neopolis-Reise. ;)
    Gruß Heinrich