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Science-Fiction macht zukunftsblind

Ich sehe mich selbst als breit aufgestellten Autor, der von Fantasy bis zum Sachbuch vor kaum einem Genre zurückschreckt (ich habe sogar schon Liebesromane geschrieben, allerdings unter einem anderen Pseudonym). Doch das Genre meines Herzens ist Science-Fiction, wie man an Büchern wie „Das System“, „Mirror“, „Boy in a White Room“, „Das KALA-Experiment“ und „Neopolis“ oder auch vielen meiner interaktiven Konsequenzen-Geschichten sehen kann. Wenn ich also hier behaupte, Science-Fiction mache „zukunftsblind“, dann beschmutze ich mein eigenes Nest. Und ist das nicht ein Widerspruch in sich? Sollen Science-Fiction-Romane nicht gerade ein Bild der Zukunft zeichnen, uns also auf das vorbereiten, was auf uns zu-kommt?

Nein, das sollen sie nicht und das können sie auch nicht. Deutschlands bedeutendster Science-Fiction-Autor Andreas Eschbach hat es im Gespräch mit dem KI-Bewusstseins-Experten Professor Karsten Wendland auf den Punkt gebracht: „Die meisten SF-Romane sind als Warnung gedacht, nicht als Gebrauchsanleitung.“ Und diese Warnung bezieht sich oft weniger auf die Zukunft als vielmehr auf die Gegenwart. Dies wird am wohl einflussreichsten Science-Fiction-Roman überhaupt besonders deutlich: In „1984“ wollte George Orwell nicht primär vor der Überwachungstechnik der Zukunft warnen, sondern vielmehr vor den autokratischen Tendenzen seiner Zeit. Orwell nutzte die – damals noch visionäre, im Vergleich zur heutigen Realität aber geradezu harmlos wirkende – Technik in seinem Buch vor allem als Stilmittel, um die Rücksichtslosigkeit und Brutalität eines autoritären Staates pointiert darzustellen.

Romane müssen eine spannende Geschichte erzählen, wenn sie die Menschen erreichen wollen. Das bedeutet, es muss einen Helden geben, der gegen übermächtige Gegner kämpft und am Ende gewinnt oder zumindest bis kurz vor Schluss die Chance hat, zu gewinnen, damit die Leserinnen mit ihm mitfiebern können. Einen Roman, in dem eine superintelligente KI innerhalb von kurzer Zeit die Weltherrschaft an sich reißt, jede Gegenwehr im Keim erstickt und die ganze Erde in Büroklammern verwandelt, wie es Nick Bostrom in seinem berühmten Gedankenexperiment beschreibt, würde niemand lesen wollen. In „Terminator“ besiegt vielmehr Kyle Reese als einsamer Held die übermächtige Maschine, in „2001 Odysee im Weltraum“ gelingt es Dave Bowman im letzten Moment, die bösartige KI abzuschalten. Auch in meinem Roman „Das System“ kann der Held Mark Helius eine KI-Apokalypse gerade noch verhindern. Das verursacht beim Lesen eine wohlige Gänsehaut, aber mehr auch nicht – es ist ja „nur Science-Fiction, nicht die Wirklichkeit“.

Das ist auch in Ordnung so – Science-Fiction soll unterhalten, günstigstenfalls nachdenklich machen, aber weder belehren noch zukunftstaugliche Lösungen präsentieren. Ein Roman ist keine wissenschaftliche Analyse.

Problematisch wird es jedoch, wenn potenzielle Zukunftsprobleme der Realität mit Science-Fiction-Visionen in einen Topf geworfen werden. Und das passiert leider ständig. Unzählige Zeitungs- und Zeitschriftenartikel über die möglichen Gefahren zukünftiger künstlicher Intelligenz wurden schon mit einem Bild aus „Terminator“ dekoriert. Auch die verwendeten Begriffe stammen häufig aus der Science-Fiction. Das ist aufmerksamkeitsstark, aber es lenkt die Leser auf die falsche Spur. Es nimmt dem Thema jegliche Seriosität und Glaubwürdigkeit – es ist ja „nur Science-Fiction, nicht die Wirklichkeit“. Man muss sich nicht ernsthaft damit beschäftigen.

Als jemand, der versucht, sich Gedanken über die realen Risiken der KI zu machen, leide auch ich unter diesem Phänomen. Mir haftet das Label des Science-Fiction-Autors an. Als solcher bin ich gern gesehener Entertainer auf der einen oder anderen Fachkonferenz, aber so richtig ernst nimmt mich dort niemand. Das ist nachvollziehbar, schließlich bin ich kein Wissenschaftler. Aber ich würde mir wünschen, dass sich mehr Forscher ernsthaft mit der mittelfristigen Zukunft beschäftigen, die bisher uns Science-Fiction-Autoren vorbehalten ist. Genau das passiert viel zu wenig, unter anderem, weil die meisten „seriösen“ Wissenschaftler sich von Themen fernhalten, die als „Science-Fiction“ abgetan und lächerlich gemacht werden könnten - etwa das existenzielle Risiko einer unkontrollierbaren „starken“ künstlichen Intelligenz.

Wir denken und agieren viel zu kurzfristig, weil uns die mittelfristige Perspektive – was z.B. eine weiterhin exponentielle technische Entwicklung in den nächsten 30 Jahren hervorbringen könnte – zu unklar erscheint. Doch das Beispiel des Klimawandels macht deutlich, dass 30 Jahre sehr wenig Zeit sind, wenn man grundlegende Umsteuerungen vornehmen muss, um ein Problem in den Griff zu bekommen. Nur, weil wir die Gefahren noch nicht deutlich erkennen können, heißt es nicht, dass sie nicht da sind und wir uns nicht auf sie vorbereiten müssen.

Wenn wir die Risiken der KI seriös einschätzen und möglichen Lösungen diskutieren wollen, dann sollten wir jeden Gedanken an Science-Fiction – inklusive Bildern und Vokabular – über Bord werfen. Stattdessen sollten wir auf Basis erkennbarer technologischer Trends realistische oder zumindest mögliche Zukunftsszenarien entwerfen und durchspielen, was diese für uns bedeuten würden und wie wir damit umgehen sollten. Dabei mögen durchaus Szenarien entstehen, die an Science-Fiction-Romane erinnern. Aber der „Plot“ wird ein ganz anderer sein: Statt einsamer Helden werden uns in Zukunft staatliche Organisationen und internationale Vereinbarungen retten, statt aufsehenerregender Stunts und Verfolgungsjagden brauchen wir wissenschaftliche Fachartikel und parlamentarische Debatten. Und falls wir es verbocken, wird kein brillanter Einfall eines einsamen Genies unsere Rettung sein und auch kein Zeitreisender aus der Zukunft.

Die Realität ist kein Science-Fiction-Roman. Die Zukunft wird in vieler Hinsicht banaler sein, in mancher aber auch überraschender, radikaler und womöglich noch viel gefährlicher, als wir Autoren es uns heute ausmalen können. Es ist höchste Zeit, sich ernsthaft, rational und wissenschaftlich damit auseinanderzusetzen.


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Kommentare: 2
  • #1

    Heinrich (Freitag, 15 Oktober 2021 17:28)

    Hallo Karl,
    ein grandioser Artikel!
    Als Pessimist vom Dienst schreibe ich nun wieder, welche Gedanken mir dabei durch den Kopf gehen:
    - Wer liest das?
    - Wer versteht es?
    - Wer hat ein Motiv, sich tatsächlich ernsthaft, rational und wissenschaftlich damit auseinanderzusetzen.
    Die traurige Wirklichkeit auf diesem Planeten ist doch, dass sich für Veränderungen Mehrheiten finden müssen, damit die, die Einfluss haben, etwas tun, etwas ändern, etwas bewirken.
    Der Epic Film https://www.youtube.com/watch?v=hZEhtVoI16g ist schon in Vergessenheit geraten, und die, die fleißig bei Amazon einkaufen, interessieren sich nur dafür, dass sie ihr Spielzeug wieder zurückschicken können, wenn sie es über haben, oder die teure Kamera nach dem Urlaub nicht mehr gebraucht wird.
    Die Mehrheit der Menschen denkt nur an das HEUTE, an Essen, Trinken, Miete, Arbeit, usw.
    Aber sicher sehe ich das falsch, weil ich schon so alt bin und von der Zukunft dieser Welt nicht mehr betroffen bin.
    Darum ist es gut, dass Du auch "Jugendromane" schreibst. Die Jugend denkt anders und hat noch eine Chance es besser zu machen, als meine und vorherige Generationen.
    Wenn der Boss von Googlezon, Circle o.ä. sich dann daran erinnert, wie er in der Jugend es empfunden hat und welche Macht er nun hat, die Entwicklung zu beeinflussen ......... maybe....
    Gruß Heinrich

  • #2

    Karl Olsberg (Freitag, 15 Oktober 2021 17:44)

    @Heinrich: Dankeschön! Ja, es stimmt, wir denken viel zu kurzfristig. Aber ich habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass ein allmähliches Umdenken möglich ist - vor allem, aber nicht nur bei jungen Menschen.