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Das Meta-Problem

Facebook generiert momentan nicht unbedingt gute Presse und zeigt per anwaltlicher Unterlassungsforderung, dass die Firma nicht die geringste Lust hat, sich von unabhängigen Organisationen wie Algorithmwatch auf die Finger schauen zu lassen. Die Forderungen, den Konzern zu zerschlagen, werden lauter. Doch Gründer Mark Zuckerberg übt sich nicht in Demut und Reue, was wohl nie seine Stärke war, sondern tritt die Flucht nach vorn an.

Wenn das Image des Konzerns zu sehr leidet, dann benennen wir ihn eben um, scheint sein Motto zu sein. Und wenn es in der realen Welt zu ungemütlich wird, dann schaffen wir uns einfach eine neue. In der Tat gibt es eine einfache Lösung für den Klimawandel: Wenn man den ganzen Tag in einem klimatisierten Raum sitzt, die VR-Brille auf dem Kopf, dann merkt man von der Hitze da draußen nichts und in der virtuellen Realität des „Metaverse“ gibt es weder sterbende Wälder noch verheerende Überschwemmungen (es sei denn, das ist so gewollt).

Das Problem dabei ist allerdings, dass die Realität nicht besser wird, nur weil man sie nicht mehr sieht. Und genau da habe ich so meine Schwierigkeiten mit den neuen großen Plänen des Konzerns, der jetzt nicht mehr „Facebook“ heißt, sondern „Meta“, so als hätte Zuckerbergs Imperium das Copyright auf die Idee des „Metaverse“, die von dem Science-Fiction-Autor Neal Stephenson erstmals so genannt wurde, aber schon viel älter ist.

Der Philosoph und Youtuber Manuel Haase bringt die Probleme, die der neue Fokus des Facebook-Konzerns mit sich bringen könnte, in einem neuen Video sehr gut auf den Punkt und hat mich dazu nach meiner Meinung gefragt, die ich im Video natürlich nur in ein paar Sätzen vermitteln konnte. Daher hier ein etwas ausführlichere Darstellung meiner Sicht.

Im Grunde ist das Metaverse eine tolle Idee, quasi das Internet zu Ende gedacht. Ich habe selbst eine VR-Brille und finde es immer wieder eindrucksvoll, damit auf ganz andere Weise in Spielwelten einzutauchen. Ich kann mir eine Menge großartiger Anwendungen vorstellen: buchstäblich unendliche Freiräume für menschliche Kreativität, atemberaubende Spiele und neue Möglichkeiten, Wissen zu vermitteln. Die virtuelle Welt verbraucht eine Menge Energie, kann aber andererseits womöglich Flugreisen teilweise überflüssig machen und so Treibhausemissionen einsparen (ob der Effekt unterm Strich positiv oder negativ ist, ist noch unklar).

Wie immer hat auch diese neue Technologie positive und negative Seiten. Und wie immer kommt es darauf an, was man damit macht und wer sie kontrolliert. Denn Technologie verleiht Macht und kaum eine Technologie verleiht mehr Macht über die Menschen, die sie nutzen, als das Metaverse. Wenn Zuckerbergs Traum in Erfüllung geht und wir am Ende im Metaverse nicht nur spielen und chatten, sondern auch arbeiten und somit dort mehr Zeit verbringen als in der Realität, dann wird derjenige, der das Metaverse beherrscht, quasi zum allmächtigen Herrscher unserer Welt.

Das ist weniger übertrieben, als es vielleicht klingt. Wie Yuval Harari es so schön formuliert hat: B*C*D=AHH – wer ausreichend Kenntnisse über die menschliche Biologie, genügend Computerpower und vor allem viele Daten besitzt, erlangt die Fähigkeit, Menschen zu „hacken“, sie also perfekt zu manipulieren. Facebook, Instagram & Co. sammeln bereits jetzt unfassbar viele Daten über uns und können unser Verhalten nachweislich auch dann erheblich beeinflussen, wenn wir gerade nicht aufs Handy starren. Doch gegen das Metaverse ist das, was unsere Smartphones an Daten liefern, wie ein Regentropfen im Vergleich zu einem Ozean: In der virtuellen Welt wird nicht nur jedes Wort, das wir sagen, sondern auch jede Bewegung, sogar jeder Blick registriert. All das liefert nicht nur Informationen darüber, was wir in der virtuellen Welt tun, sondern auch, wer wir in Wirklichkeit sind und wie wir ticken. Wir werden buchstäblich auf eine Weise durchschaubar, die sich George Orwell in seinen schlimmsten Alpträumen nicht vorgestellt hätte.

Es ist das Prinzip der Demokratie, dass Macht denjenigen übertragen wird, die von der Mehrheit dafür ausgewählt werden. So gesehen ist es unsere Entscheidung, ob wir Facebook bzw. „Meta“ zum Herrscher über unsere zukünftige virtuelle Welt wählen oder nicht. Allerdings gehört es auch zum Wesen der Demokratie, dass gewählte Volksvertreter der Kontrolle durch öffentliche Institutionen unterliegen, sich an Gesetze halten müssen und nach ein paar Jahren auch wieder abgewählt werden können. Doch wenn das Metaverse einmal von einem Unternehmen beherrscht wird, dann ist es später kaum noch möglich, einfach wieder auszusteigen, weil die Kosten dafür sehr hoch wären. Und die demokratische Kontrolle durch öffentliche Institutionen hat bisher nicht besonders gut funktioniert.

Ich unterstelle Mark Zuckerberg weder böse Absichten noch eine antidemokratische Einstellung. Aber er führt ein Wirtschaftsunternehmen, keine gemeinnützige Organisation, und er ist bereit, die Interessen der Öffentlichkeit und sogar seiner Nutzer notfalls hinter seinen wirtschaftlichen Interessen zurückzustellen, wie er mehrfach gezeigt hat.  Wenn sein Unternehmen oder ein anderes, ähnlich geführtes das Metaverse beherrscht und sich weiterhin jeder demokratischen Kontrolle entzieht, ist das für mich ein dystopisches Szenario.

Zwar schreibt Zuckerberg in seinem gestern veröffentlichten „Founders Letter“, das Metaverse werde nicht von einer einzigen Firma geschaffen, sondern von vielen Kreativen und Entwicklern, die gemeinsam eine viel größere „Creative Economy“ schaffen würden als die heutigen „Plattformen“, die er als Einschränkung empfindet (damit meint er wohl primär Apple und Google). Doch sein Dominanzanspruch wird nicht nur in dem neuen Namen deutlich, sondern auch in der Historie von Facebook und Instagram. Wer glaubt, „Meta“ werde sich im neu geschaffenen Metaverse mit einer Nebenrolle begnügen, ist naiv.

In meinem Jugendroman „Boy in a White Room“ beschreibe ich, wie ein Junge gegen seinen Willen in einer virtuellen Welt gefangen ist. Wenn wir den Verlockungen des Metaverse verfallen, ohne die Folgen zu bedenken und ohne dafür zu sorgen, dass das, was dort passiert, einer demokratischen Kontrolle unterliegt, dann ist es, als würden wir uns selbst freiwillig in den „weißen Raum“ sperren und den Schlüssel wegwerfen.


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Kommentare: 10
  • #1

    Heinrich (Samstag, 30 Oktober 2021 00:27)

    Wenn aus einem Stück Würfelzucker ein mächtiger Zuckerberg wird, ist das dann eine METAmorphose? ;)

  • #2

    Karl Olsberg (Samstag, 30 Oktober 2021 09:55)

    @Heinrich: Ich bin nicht sicher, ob es eine Metamorphose ist, aber ein Problem ist der Zuckerberg, den wir (insbesondere ich) täglich in uns hineinstopfen, auf jeden Fall! :)

  • #3

    Heinrich (Montag, 08 November 2021 18:29)

    Ich habe bei Perspective Daily gelesen
    https://perspective-daily.de/article/1899/MGOvynGc
    dass Faceboock / Meta jetzt schon 2 Milliarden Benutzer:Innen hat. Wenn man bedenkt, wie viele zu jung, zu alt oder zu arm sind, das Internet zu benutzen, ist das schon die Mehrheit der Menschen, die man manipulieren kann. Da scheint eine Handvoll Menschen, die Facebook meiden, wohl nur ein Tropfen auf den heißen Stein zu sein. Wir WOLLEN es scheinbar nicht anders. Dann haben wir Menschen es auch nicht besser verdient, wenn wir zu egoistisch, engstirnig und dumm sind.

  • #4

    Heinrich (Montag, 08 November 2021 18:43)

    .... ja, ich weiß, es gibt auch Facebooknutzer (einige wenige) , die die Plattform beruflich nutzen "müssen", weil man sonst nicht genug Menschen erreicht. Die meisten davon lassen sich auch nicht manipulieren und können differenzieren und manipulieren selbst auch nicht andere.

  • #5

    Karl Olsberg (Montag, 08 November 2021 18:56)

    @Heinrich: Auch ich habe immer noch einen Facebook-Account. Ihn nicht mehr zu nutzen würde bedeuten, dass ich den Kontakt zu Menschen verliere, die ich seit Langem kenne, mit denen ich aber zurzeit nicht über andere Kanäle in Kontakt bin. Social Media haben sehr hohe Ausstiegshürden, wenn man sich einmal auf sie eingelassen hat. Außerdem würde ich auch nicht so weit gehen, zu einem Facebook-Boykott aufzurufen. Ich plädiere stattdessen dafür, der Firma auf die Finger zu schauen und stärker zu regulieren, wie die Algorithmen mit unseren Daten und den Informationen in ihrem Netzwerk umgehen.

  • #6

    Heinrich (Montag, 08 November 2021 19:31)

    Tja, so ist es!
    Fragt sich nur, wer nicht nur ein Motiv, sondern auch die Macht hat, den Metas, Amazons, Googles, Microsofts, Pharmakonzernen, Waffenkonzernen usw usw auf die Finger zu schauen, und nicht nur zu schauen, sondern auch Einhalt zu gebieten?!?

  • #7

    Karl Olsberg (Dienstag, 09 November 2021 10:06)

    @Heinrich: Für so etwas gibt es Gesetze und demokratisch gewählte Regierungen wie das EU-Parlament. Die sind zwar etwas träge, aber nicht machtlos. Siehe z.B. https://netzpolitik.org/2021/frances-haugen-was-die-facebook-whistleblowerin-der-eu-raet/

  • #8

    Volker (Sonntag, 21 November 2021 20:48)

    Guten Abend, ihr zwei. Wie grätsche ich jetzt am besten in die laufende Unterhaltung? Hm. Hallo, ich bin der Volker, und ich bin Facebookjunkie (Hallo Volker). Nein, ganz so schlimm ist es nicht. Aber eine gewisse Abhängigkeit verspüre ich schon. Wie in Karls Beispiel nutze ich als Freiberufler Social Media auch hinsichtlich meiner beruflichen Aktivitäten. Über eigene Webseiten könnte ich niemals so viele Menschen erreichen wie über Facebook (tatsächlich habe ich mich auf diese eine Plattform eingeschränkt, würde ich noch Instagram, Twitter usw. nutzen, könnte ich sicher noch viel effektiver informieren und werben, aber dann würde ich nichts anderes mehr tun). Dass ich mich dadurch zum Spielball finsterer Mächte mache, ist der Preis, den ich zahlen muss. Ernsthaft. Denn ich sehe einfach keine gleichwertige Alternative. Würde ich FB allein für private Zwecke nutzen, hätte ich wahrscheinlich längst meinen Hut genommen.

    Ich fürchte, aus der Sache werden wir (Menschen) auch nicht mehr rauskommen. Es sei denn das Internet geht irgendwann kaputt. Social Media ist bequem, effizient und umsonst. Diese Eigenschaften sorgen dafür, dass der Großteil der Menschheit diesen Deal niemals freiwillig ausschlagen wird (denn der Mensch ist eben bequem und will möglichst umsonst effektiv alles tun können). Verdammt, mach ich hier gerade den Erklärbären? Sorry, ich bin noch dabei, mir diese Eigenschaft abzugewöhnen - ist nicht leicht. Habt bitte Nachsicht!

    Ich glaube ehrlich gesagt nicht daran, dass behördliche Kontrollstellen die Entwicklungen aufhalten werden, ganz gleich, welche ethischen und moralischen Grenzen diese überschreiten werden. Politik wird stark von Lobbyisten mitgestaltet. Schaut auf die Klimapolitik. Totschlagargument, warum irgendetwas nicht durchgesetzt wird (oder vielleicht in 20 Jahren, hm, oder in 30, mal sehen), ist immer der Wirtschaftsaspekt. Dabei sollte Wirtschaft ein Werkzeug sein, das zu Wohlstand im Bezug auf die eigentlich erstrebenswerten Dinge beiträgt: Gesundheit, Bildung, Fortschritt und ein würdevolles, sinnerfülltes Leben. Das alles ist längst zwölftrangig und das Geld reiner Selbstzweck geworden, das angestrebte Ziel immer schnelleres und größeres Wachstum, bis der Krebs den Organismus irgendwann um die Ecke bringt.

    Nochmal zurück zu behördlicher Kontrolle. Oft ist es doch so, das große Unternehmen Sanktionen mehr oder weniger aus der Portokasse zahlen und es sich unterm Strich rechnet, einfach schon mal los zu preschen und dabei ein paar Milliarden eizuheimsen und nachträglich ein paar Milliönchen oder auch 10 oder 100 davon in den "Ich-war-böse-Topf" abzuführen.

    Ich fürchte, die Lawine, die schon lange, lange rollt und immer mehr Fahrt aufnimmt, bis sie Lichtgeschwindigkeit erreicht, ist nicht mehr aufzuhalten. Irgendwann werden wir alle Borg sein mit einer fetten, metastatischen und virenverseuchten Borg-Queen. Und wenn wir Glück haben, sind wir selbst viel zu degeneriert um noch mitzukriegen, dass das Raumschiff in ein Schwarzes Loch stürzt.

    Puh, ist das düster. Es wird Zeit, dass bald wieder Frühling wird. Der nahende Winter mutiert mich immer zu Pessimismus-Man. Lasst euch bitte nicht davon anstecken. Im tiefsten Innern weiß ich natürlich, dass alles gut wird.

  • #9

    Karl Olsberg (Montag, 22 November 2021 12:25)

    @Volker: Ja, manchmal habe ich auch das Gefühl, es ist eh nichts zu machen. Aber das stimmt nicht. Ein gutes Beispiel ist für mich die Pharmaindustrie: Die würden sicher am liebsten völlig unkontrolliert ihre Medikamente auf den Markt bringen, aber das dürfen sie nicht und mittlerweile haben sie sich daran gewöhnt, dass vor der Markteinführung erst einmal umfangreiche Studien zu Risiken und Nebenwirkungen durchgeführt werden müssen, selbst in einer Pandemie.

    Angesichts der Tatsache, dass Social Media und andere KI-Anwendungen ähnliche Risiken und Nebenwirkungen haben können, wäre auch hier ein umfangreicher Prüf- und Freigabeprozess mit entsprechenden Studien nötig. Es wird sicher noch dauern, bis sich diese Erkenntnis durchsetzt, aber wenn, dann sind wir durchaus in der Lage, Regulierungen durchzuführen. Die EU ist da bereits auf einem ganz guten Weg. Lobbyisten werden sicher versuchen, das zu verhindern oder abzuschwächen, aber Lobbyisten sind bei uns zum Glück noch nicht allmächtig. Je mehr Menschen bewusst wird, dass KI viele gute Seiten, aber auch Risiken und Nebenwirkungen hat, umso eher werden wir Regulierungen durchsetzen können. Also nicht die Hoffnung aufgeben!

  • #10

    Volker (Dienstag, 23 November 2021 03:22)

    Ich hoffe ja auch. Wie gesagt, macht der nahende Winter mich gerne fatalistisch. Und dann neige ich dazu, die Drama-Queen raushängen zu lassen :-D Captain Skepsis wir allerdings stets ein Weggefährte sein.