Wir leben in einer Zeit, die vor allem von Misstrauen geprägt ist. Wir misstrauen den Politikern, unseren demokratischen Institutionen, den Medien, ob sozial oder traditionell, oft sogar unseren Nachbarn. Wenn jemand behauptet, er täte uneigennützig etwas Gutes, sind wir erst recht misstrauisch.
Oft ist dieses Misstrauen leider berechtigt. Wir leben nämlich auch in einer Zeit, in der dreiste Lügen politischen Erfolg versprechen und man vor allem mit Angeberei und der Erniedrigung Andersdenkender Aufmerksamkeit erregt. Soziale Medien fördern und belohnen die diversen Formen der Unehrlichkeit besonders. Und es gibt genügend Beispiele von Scharlatanen und Betrügern, die es weit gebracht haben – von Donald Trump bis zu Sam Bankman-Fried, der mit seiner Cryptowährungs-Plattform FTX Privatanleger um mehrere Milliarden Dollar betrogen hat.
So ist es kein Wunder, dass auch einer Bewegung, die sich – vielleicht etwas vollmundig – „Effektive Altruisten“ nennt, viel Misstrauen entgegengebracht wird, zumal ausgerechnet Sam Bankman-Fried sich zu dieser Bewegung bekannte und einen Großteil des gestohlenen Geldes vermeintlich uneigennützig spendete. In einem kritischen Meinungsbeitrag im SPIEGEL warf Christian Stöcker die EAs, wie sie sich selbst nennen, mit den Denkschulen des „Longtermism“ und des „Transhumanismus“ in einen Topf und unterstellte, dass dahinter der Traum einiger Silicon-Valley-Milliardäre vom ewigen Leben stecke und sie von den gegenwärtigen Problemen bloß ablenken wollten, indem sie auf die langfristige Zukunft verwiesen.
Ich bin alles andere als ein Transhumanist – ich halte die Idee, das Gehirn zu „scannen“ und in einen Computer hochzuladen, unabhängig von den technischen Schwierigkeiten für Schwachsinn, wie ich unter anderem in meinem Jugendroman "Boy in a Dead End" dargelegt habe. Ich mache mir auch keine Gedanken über die Auswirkungen meines Handelns auf die Menschen, die (mit sehr viel Glück) in hunderttausend Jahren auf der Erde leben. Mein langfristiges Denken beschränkt sich darauf, der Generation meiner Kinder und (vielleicht irgendwann) Enkelkinder einen bewohnbaren Planeten zu hinterlassen und ihnen möglichst viel Freiheit zu geben, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen – also das, was man gemeinhin als nachhaltiges Denken und Handeln bezeichnet. Dieses Ziel zu erreichen, wird angesichts der aktuellen Herausforderungen schon schwierig genug. Was also habe ich mit den Effektiven Altruisten am Hut?
Ich bin auf die Bewegung gestoßen, weil ich mir schon seit Längerem Gedanken über die existenziellen Risiken der KI mache, damit aber früher überall auf taube Ohren stieß. Schließlich redete ich da über Dinge, die entweder unmöglich waren oder zumindest noch weit, weit in der Zukunft lagen. Die Einzigen, die sich ernsthaft mit diesem Thema beschäftigten, waren ein paar Dutzend Menschen weltweit, überwiegend Informatiker. Die meisten von ihnen waren über den Effektiven Altruismus auf dieses Thema gestoßen – ich bin einer der wenigen, die EA erst kennenlernten, nachdem sie angefangen hatten, sich mit diesem Thema zu beschäftigen.
Für jeden, der meinen Ideen skeptisch gegenübersteht, muss das Vorstehende so klingen, als hätte ich mich in eine Verschwörungstheorie verrannt und schließlich einen Kult von schrägen Typen gefunden, die genauso verwirrt sind wie ich und in denen ich mich gut aufgehoben fühle. Etwas Ähnliches hat mir tatsächlich ein gutmeinender Freund vor zwei Jahren gesagt. Inzwischen allerdings ist das Thema existenzielle Risiken der KI zumindest außerhalb Deutschlands im Mainstream angekommen. Renommierte Wissenschaftler warnen vor den Gefahren, der US-Kongress hat sich schon mehrfach damit beschäftigt, in London fand vor Kurzem eine internationale Konferenz dazu statt und die EU hat gerade ihren AI Act ausformuliert, der versucht, die Gefahren der KI einzugrenzen.
Trotzdem – oder vielleicht gerade deshalb – wird der Effektive Altruismus von verschiedenen Seiten nun erst recht angefeindet. Manche werfen der Bewegung Panikmache vor, andere Eigensüchtigkeit und Geltungsbedürfnis. Viele stellen es so dar, als handele es sich um eine Art Kult. Kaum jemand scheint den EAs zuzutrauen, dass stimmt, was sie von sich selbst behaupten: Dass sie nämlich einfach nur „Gutes besser tun“ wollen.
Aber was genau ist denn nun der Effektive Altruismus? Es handelt sich um eine internationale Bewegung von überwiegend jungen Menschen, viele studieren noch. Gegründet wurde sie von einer philosophischen Denkschule an der Universität Oxford, deren prominentester Vertreter William McAskill ist.
McAskill ist ein bekennender „Longtermist“, also jemand, der die Auswirkungen unserer Handlungen weit in die Zukunft vorausdenkt. Aber die Grundidee hinter dem Effektiven Altruismus hat zunächst mit Longtermism gar nichts zu tun. Man könnte sie salopp so ausdrücken: „Statt aus dem Bauch heraus zu entscheiden, wo ich mich ehrenamtlich engagiere oder wem ich Geld spende, sollte ich mein Gehirn benutzen und rational ableiten, wie ich mit meiner Arbeit oder meiner Spende die größtmögliche Wirkung erziele.“
Dazu empfiehlt der Effektive Altruismus drei simple, aber wirkungsvolle Kriterien:
- Impact (Auswirkung) – wie dringend ist das Problem, bei dessen Lösung ich helfen will? Für dasselbe Geld, mit dem man beispielsweise das örtliche Tierheim unterstützt, kann man vielleicht einem Menschen in einem Krisengebiet das Leben retten.
- Tractability (Verbesserbarkeit) – kann man mit seinem Einsatz tatsächlich etwas Signifikantes verbessern? Es gibt Probleme, die relativ leicht zu lösen sind, beispielsweise, weil bereits existierende Medikamente lediglich an die richtigen Menschen verteilt werden müssen. Andere dagegen, wie die Entwicklung eines Medikaments gegen Alzheimer, sind deutlich schwieriger und unsicherer.
- Neglectedness (Vernachlässigung) – handelt es sich um ein Problem, um das sich schon sehr viele Menschen und Institutionen kümmern, wie etwa der Klimawandel, oder ist es noch weitgehend unbeachtet, obwohl es große Auswirkungen hat?
Der Effektive Altruismus empfiehlt, seine Anstrengungen vor allem auf solche Probleme zu richten, bei denen alle drei Kriterien erfüllt sind. Vor allem das Dritte ist dabei wichtig: Statt sich den Themen zu widmen, die jeden Tag in den Nachrichten sind und von großen Organisationen bereits aktiv angegangen werden, suchen EAs gezielt nach den Lücken, den Problemen, die bisher übersehen wurden. Und so stießen sie früher als die meisten anderen auf die existenziellen Risiken der KI. Sie stellten schnell fest, dass die potenziellen Auswirkungen, die bis hin zur Auslöschung der Menschheit reichen, gigantisch sind und sich bisher so gut wie niemand damit beschäftigte. Lediglich die Frage, ob man das Problem überhaupt lösen kann, ist (leider) noch offen, aber angesichts der Fortschritte in der KI müssen wir es zumindest versuchen, das ist mittlerweile offensichtlich.
KI ist aktuell das wahrscheinlich größte und meistdiskutierte Thema innerhalb des Effektiven Altruismus, aber bei Weitem nicht das einzige. EAs engagieren sich für Tierwohl und Naturschutz, gegen den Klimawandel, für Bildung und medizinische Versorgung in ärmeren Ländern und für vieles andere. Dabei suchen sie immer nach Möglichkeiten, die Welt noch effektiver zum Besseren zu verändern.
All das bedeutet aber nicht, dass der Effektive Altruismus irgendwem Vorschriften machen würde – wer seinem Tierheim Geld spenden möchte, darf das natürlich weiterhin tun. EA will auch kein Geld von anderen wichtigen Problemen „umschichten“. Die Idee ist vielmehr, denjenigen, die etwas Gutes tun möchten, aber nicht genau wissen, was, zu helfen, einen möglichst großen Effekt zu erzielen. Dabei ist es oft schon enorm hilfreich, überhaupt einmal über die drei genannten Kriterien nachzudenken, statt einfach der erstbesten Organisation, deren Spendenbrief im Briefkasten liegt, Geld zu geben.
EA hat also zunächst einmal gar nichts mit Longtermism oder Transhumanismus zu tun. Allerdings sind viele EAs gleichzeitig Anhänger von einer oder beiden Denkrichtungen. Aber bei Weitem nicht alle. Wer EA vorwirft, ein „Kult“ zu sein, sollte sich die Mühe machen, einmal das EA Forum durchzuschauen, auf dem EAs heftig über solche Themen diskutieren, und zwar ergebnisoffen.
Mein erster tieferer Berührungspunkt mit EA war Mitte 2021 das Buch „The Precipice“ von Toby Ord, der ebenfalls zu den Begründern der Bewegung zählt (ich habe darüber dieses Video gemacht). Er inspirierte mich, mehr zu tun, um den existenziellen Risiken der KI entgegenzutreten. Anfang 2022 habe ich am AI Safety Camp teilgenommen, das ebenfalls vom Effektiven Altruismus gefördert wurde und bei dem ich meine ersten persönlichen Kontakte zu der Bewegung knüpfte. Seitdem war ich auf mehreren großen Veranstaltungen und treffe mich regelmäßig mit einer kleinen lokalen Runde in Hamburg.
Meine Erfahrungen waren und sind überall dieselben: Ich habe junge, außerordentlich kluge, nachdenkliche und vor allem engagierte Menschen kennengelernt, deren Ziel es ist, Gutes besser zu tun, und zwar ohne Hintergedanken. Obwohl ich doppelt so alt bin wie die meisten EAs, habe ich mich immer willkommen und akzeptiert gefühlt. Ich habe teilweise durchaus kontroverse Diskussionen geführt, die aber immer rational, offen und an der Sache orientiert waren. Toleranz, Vielfalt, Fairness und Selbstbestimmung sind Grundwerte von EA, die nicht nur irgendwo auf einer Website stehen, sondern überall spürbar gelebt werden.
Dass ein narzisstischer Betrüger wie Sam Bankman-Fried ausgerechnet diese Bewegung als Bühne auserkoren hat, um sich selbst als Wohltäter der Menschheit zu präsentieren, ist tragisch, ändert aber nichts daran, dass er genau das Gegenteil dessen verkörpert, was Effektiven Altruismus ausmacht.
Wer sich über den Effektiven Altruismus informieren möchte, findet auf der deutschen Website eine Menge Material. Die Plattform „80.000 Hours“ hilft jungen Menschen bei der Suche nach Karrieren, die nicht nur Geld bringen, sondern gleichzeitig die Welt besser machen. Auf der Website „Effektiv Spenden“ kann man wohltätige Organisationen in verschiedensten Bereichen unterstützen, die die Kriterien des Effektiven Altruismus erfüllen, von EA aber unabhängig sind. Das Geld wird in voller Höhe weitergeleitet, ob und wieviel man zusätzlich an Effektiv Spenden überweist, um deren Arbeit zu unterstützen, kann jeder selbst entscheiden.
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