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Evolution und KI Teil 5: Die Konsequenzen der KI

Das Evolutionsprinzip führt dazu, dass sich künstliche Intelligenz in immer größerer Vielfalt und immer schneller weiterentwickeln wird, bis uns KIs in jeder Hinsicht überlegen sein werden. Gleichzeitig ist es unvermeidbar, dass es den Menschen weit überlegene KIs geben wird, die gegen unsere Interessen handeln und uns Schaden zufügen. Haben wir vor diesem Hintergrund überhaupt eine Überlebenschance?

Diese Frage kann niemand ehrlich beantworten. Wenn tatsächlich eine Maschine entsteht, die sich selbst vollständig autonom weiterentwickeln kann, dann ist das Ergebnis dieser Evolution ebenso wenig vorhersehbar, wie man vor zehntausend Jahren hätte absehen können, welche Veränderungen die Menschheit über die Welt bringt. Betrachtet man unsere Spezies aus der Perspektive der übrigen Lebensformen auf diesem Planeten, dann ergibt sich ein düsteres Bild: die weitaus meisten Lebewesen leiden unter unserer Anwesenheit, viele stehen kurz vor dem Aussterben oder wurden bereits ausgerottet, andere werden von uns erbarmungslos gequält. Wenn KIs mit uns so umgehen werden wie wir mit unserer Umwelt und unseren Nutztieren, dann sollten wir am besten sofort damit aufhören, KI-Forschung zu betreiben. Doch selbst, wenn wir das wollten – die Evolution lässt sich nicht so einfach stoppen.

Manche euphorischen Anhänger der KI-Entwicklung sind der Ansicht, wir müssten uns keine Sorgen machen. KIs konkurrierten nicht mit uns um knappe Ressourcen, im Gegenteil lebten wir mit ihnen in Symbiose. Außerdem seien sie uns aufgrund ihrer überlegenen Intelligenz auch moralisch weit voraus, so dass wir keine Angst vor ihnen haben müssten. Diese Sichtweise halte ich allerdings für äußerst naiv.

Es stimmt, dass Maschinen nicht unsere Nahrungskonkurrenten sind, aber sie verändern unsere Umwelt massiv und nehmen uns und vielen Tieren und Pflanzen langfristig die Lebensgrundlage. Denn die globale Erwärmung geht wesentlich auf den Energieverbrauch der Maschinen zurück (damit sind nicht nur Computer gemeint) und auch ein großer Teil der Umweltzerstörung ist der Tatsache geschuldet, dass wir Rohstoffe abbauen, um noch mehr Maschinen herzustellen. Wir leben zwar in einer Art Symbiose mit ihnen, doch die Grenzen zwischen symbiotischer Gemeinschaft und parasitärer Ausbeutung sind fließend: Auch Schweine und Kühe leben in „Symbiose“ mit uns, denn wir füttern und versorgen sie, doch tauschen möchte ich mit ihnen nicht. Auch auf die überlegene Moral der Maschinen können wir uns nicht verlassen. Das Prinzip der evolutionären Vielfalt bedeutet, dass es einige KIs geben wird, die uns tatsächlich moralisch überlegen sind und sich für den Schutz der Menschheit einsetzen werden, andere, denen wir völlig gleichgültig sind, wieder andere, die uns wie Nutzvieh für irgendwelche Zwecke benutzen und vielleicht sogar einige, die uns als schädlich ansehen und ausrotten wollen.

Dennoch sehe ich Grund zur Hoffnung. Das Prinzip Vielfalt bedeutet nämlich auch, dass auf diesem Planeten prinzipiell Platz für mehr als eine intelligente Spezies ist. Allerdings müssen wir uns diesen Platz erkämpfen und ihn verteidigen, sonst könnte es uns ähnlich ergehen wie den Gorillas, deren Lebensraum trotz aller Schutzbemühungen immer weiter schrumpft – nicht, weil Menschen Gorillas hassen, sondern weil sie uns nicht wichtig genug sind, um unsere eigene Gier nach Profit und Macht hinter ihr Schutzbedürfnis zurückzustellen.

Um auf Dauer eine Überlebenschance zu haben, müssen wir von Anfang an ein „gesundes“ KI-Ökosystem schaffen, in dem parasitäre und schädliche KIs zwar existieren, das sie aber nicht dominieren können. Zum Glück haben wir bereits ein paar tausend Jahre Erfahrung damit, wie man sich gegen die Dominanz schädlicher Einflüsse wehren kann. Allerdings hat sich auch gezeigt, dass die Lösung nicht so einfach ist.

Unser Gehirn wurde von der Evolution dafür optimiert, in einer Gruppe von etwa 150 Individuen in der afrikanischen Savanne zu überleben. Die Welt unserer Vorfahren in der Urzeit unterschied sich allerdings in vieler Hinsicht grundlegend von der, in der wir heute leben: Nahrung war knapp, ständig lauerten Gefahren und Fremde waren eine Bedrohung, der man besser mit Misstrauen begegnete. Viele unserer Instinkte, die für diese Welt geschaffen wurden, passen nicht mehr in die heutige Zeit und führen zu schädlichem Verhalten: Wir essen zu viel, sind misstrauisch gegenüber Fremden und verhalten uns zum Beispiel im Straßenverkehr aggressiv, obwohl wir wissen, dass uns das nicht wesentlich schneller ans Ziel bringt. Die Vielfalt menschlichen Verhaltens führt dazu, dass es Menschen gibt, die ihren Instinkten ohne Rücksicht auf die Bedürfnisse anderer folgen. Doch wir haben Methoden entwickelt, um trotzdem das friedliche Zusammenleben in großen Gemeinschaften zu ermöglichen: In einer mittleren Großstadt leben heute mehr Menschen auf engem Raum als noch vor zehntausend Jahren auf der gesamten Erde, trotzdem herrscht dort nur in Ausnahmefällen Mord und Totschlag.

Das Zusammenleben vieler Menschen ist nur möglich durch verbindliche Regeln, mit denen die Rechte der Individuen abgegrenzt und geschützt werden und die notfalls auch gegen den Willen Einzelner durchgesetzt werden. Mit anderen Worten, durch ein juristisches System. Seit dem Kodex des Hammurabi, der vor knapp viertausend Jahren das Zusammenleben in der damaligen Großstadt Babylon regelte, haben wir eine große Vielfalt an Staats- und Regierungsformen, Gesetzestexten und informellen Regeln entwickelt, die heute unser Leben bestimmen. Dabei zeigt sich, dass es einige Grundprinzipien zu geben scheint, die für ein friedliches Zusammenleben vorteilhaft sind:

  • Rechte und Pflichten sollten prinzipiell für alle Menschen gleich sein.
  • Es muss eine Balance zwischen individueller Freiheit und den Interessen der Gemeinschaft gefunden werden.
  • Um Gerechtigkeit zu wahren, muss die Macht Einzelner begrenzt werden.

Die genaue Umsetzung dieser Prinzipien ist heftig umstritten. Besonders das zweite liefert Stoff für unzählige Debatten und ist das wichtigste Thema bei Wahlen in demokratischen Ländern: Was darf, was soll, was muss geregelt werden und wie genau? Die aktuellen Proteste gegen die Maskenpflicht zeigen, dass selbst Vorschriften, die dem Einzelnen wenig abverlangen, dem Schutz des Lebens dienen und auf solider wissenschaftlicher Grundlage basieren, nicht von allen akzeptiert werden. Doch wir haben ein demokratisches System geschaffen, das solche Konflikte zwar nicht vermeiden, aber mit ihnen umgehen kann.

Die Geschichte zeigt, dass die parlamentarische Demokratie frei nach Winston Churchill „eine schlechte Staatsform ist, aber die beste, die wir kennen“. Dennoch gibt es immer wieder Versuche, die Demokratie zu unterhöhlen und sie in eine Autokratie zu verwandeln, die leider allzu oft Erfolg haben. Die aktuellen schamlosen Versuche des US-Präsidenten, das Vertrauen in demokratische Wahlen zu untergraben, um seine eigene Macht zu sichern, beweisen einmal mehr, dass Demokratie keine Selbstverständlichkeit ist und immer wieder gegen Angriffe von innen und außen verteidigt werden muss. Die USA zeigen aber auch, dass dies möglich ist: Der Widerstand gegen die Angriffe auf die älteste demokratische Verfassung der Welt wächst und ich habe die Hoffnung, dass die Ära Trump bald beendet ist und wie eine Impfung dazu beitragen könnte, die Widerstandskraft der Demokratie zu stärken.

Ein demokratisches Rechtssystem ist das beste Mittel, das wir kennen, um Missbrauch, Manipulation und schädlichem Verhalten Einzelner Einhalt zu gebieten. Lässt sich dieses Prinzip auf die  künstliche Intelligenz übertragen? Ich glaube, ja. Auf die Details gehe ich im nächsten Beitrag ein.


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